1. Erkundungsumfang
In den Ö-Normen EN 1997-2 bzw. B 1997-2 erfolgt, abhängig vom Schwierigkeitsgrad eines Bauvorhabens, eine Einteilung in geotechnische Kategorien (GK 1 bis GK 3). Diese Vorab-Einteilung ermöglicht eine erste Risikoabschätzung für die geplante Baumaßnahme, wobei Gelände- und Untergrundverhältnisse, die Schwierigkeit der Konstruktion (tiefe Geländeeinschnitte etc.) sowie die Wechselbeziehungen zur Umgebung (bestehende Nachbarbebauungen) berücksichtigt werden.
Entsprechend den o.a. Normen ist für die geotechnischen Kategorien GK 2 und GK 3 ein dreistufiges Erkundungsprogramm vorgesehen:
- Vorstudie
- Voruntersuchung
- Hauptuntersuchung
Bereits in unserem Artikel „Vergrabenes Geld?“ haben wir die Problematik thematisiert, dass dem Geotechniker aus ökonomischen Gründen nur relativ selten eine normgemäße Erkundung des Untergrundes zugestanden wird bzw. als Basis für seine Planungen zur Verfügung steht.
Dabei können die Risiken, die der Baugrund in sich birgt, durch einen größeren Umfang des Erkundungsprogramms deutlich reduziert werden. Ein gewisses Restrisiko bleibt jedoch immer bestehen,
welches unter dem Begriff „Baugrundrisiko“ zusammengefasst wird.
2. Definition Baugrundrisiko
Laut Wikipedia definiert die DIN EN 1997-2 das Baugrundrisiko wie folgt:
„Baugrundrisiko: ein in der Natur der Sache liegendes, unvermeidbares Restrisiko, das bei Inanspruchnahme des Baugrundes zu unvorhersehbaren Wirkungen bzw. Erschwernissen, z. B. Bauschäden oder Bauverzögerungen, führen kann, obwohl derjenige, der den Baugrund zur Verfügung stellt, seiner Verpflichtung zur Untersuchung und Beschreibung der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse nach den Regeln der Technik zuvor vollständig nachgekommen ist, und obwohl der Bauausführende seiner eigenen Prüfungs- und Hinweispflicht nachgekommen ist.“
3. Verantwortung der Projektbeteiligten
3.1 Bauherr:
Aus der o.a. Definition lässt sich ableiten, dass das Baugrundrisiko bei geringerem Untersuchungsaufwand höher ist als bei Durchführung einer normgemäßen Hauptuntersuchung.
Der Baugrund ist ein vom Auftraggeber beigestellter Stoff, die Verpflichtung zu einer ausreichenden (normgemäßen) Untersuchung des Baugrundes liegt beim Bauherrn. Eventuelle Mehrkosten, Bauzeitverzögerungen bzw. Schäden, welche aus einer mangelnden Baugrunderkundung resultieren, liegen in dessen Sphäre.
3.2 Geotechniker (und andere Planer):
Obwohl für eine ausreichende Baugrunderkundung prinzipiell der Bauherr verantwortlich ist, obliegt dem projektverantwortlichen Geotechniker eine entsprechende Beratungs- bzw. Aufklärungspflicht.
Er hat den Bauherrn über die erforderliche normgemäße Baugrund-erkundung bzw. die Tragweite eines reduzierten Erkundungsumfangs oder gar fehlender Erkundungsmaßnahmen aufzuklären.
Entsprechend dem Artikel „Baugrundrisiko - Prüf- und Warnpflicht des Werkunternehmers“ [4] gilt dies auch für die anderen beteiligten Planer (z.B. Architekten, Statiker). Im Artikel ist dazu Folgendes zu lesen:
„Macht er den Bauherrn nicht unmissverständlich und nachweisbar auf die Notwendigkeit einer gründlichen Baugrunduntersuchung und -beschreibung aufmerksam, haftet er für die oftmals sehr hohen Folgekosten bei Verwirklichung von Baugrundrisiken.“
3.3 Ausführende Bauunternehmen:
Auch den ausführenden Bauunternehmer trifft eine gewisse Verantwortung/Verpflichtung hinsichtlich der Baugrundbeschaffenheit. Nach ständiger Rechtsprechung (z. B. OGH Urteil „5 Ob 16/13h“ [5]) ist der Auftragnehmer verpflichtet, den Werkbesteller zu warnen, wenn er eine offenbare Gefahr für das Misslingen des Werkes erkennt. Dies gilt entsprechend dem o.a. Urteil auch, wenn der Auftraggeber durch einen Sachverständigen (Geotechniker) beraten ist und die entsprechenden Ausführungsangaben von diesem verantwortet werden.
Im Einzelfall kann dies sogar so weit gehen, dass den Auftragnehmer das Baugrundrisiko, welches eigentlich in der Sphäre des Bauherrn liegt, trifft.
Auch wenn der Werkbesteller durch einen entsprechenden Sachverständigen beraten ist, hat der Auftragnehmer im Rahmen seiner Prüf- und Warnpflicht wegen seiner besonderen Sachkenntnisse in höherem Maße als der Auftraggeber einzustehen.
Spinnt man diesen Gedanken konsequent weiter, so müssten die ausführenden Firmen bei einem Großteil der angenommen Bauaufträge angesichts einer mangelnden Erkundung des Untergrundes ihrer Prüf- und Warnpflicht nachkommen. Andernfalls könnte sie eine Teilschuld an etwaigen Schäden, welche darauf zurückzuführen sind, treffen.
4. Zusammenfassung
Das Thema Baugrundrisiko ist ein sehr sensibles und kann Verantwortlichkeiten bei den unterschiedlichsten Projekt-beteiligten (Bauherr, Architekt, Geotechniker, Ausführender) nach sich ziehen.
Prinzipiell gilt der Baugrund als vom Bauherrn beigestellter Stoff. Alle unvorhersehbaren Mehrkosten, Bauzeit-verzögerungen oder Schäden, welche auf den Baugrund zurückzuführen sind, liegen in der Sphäre des Bauherrn.
Beratende Ingenieure (Architekt, Statiker, Geotechniker) haben jedoch die Verpflichtung, den Bauherren unmissverständlich auf die Notwendigkeit und den Umfang von Baugrunderkundungen hinzuweisen.
Sollte keine ausreichende Erkundung des Baugrundes vorliegen, so trifft den ausführenden Bauunternehmer eine entsprechende Prüf- und Warnpflicht.
Autor:
Dipl.-Ing. (FH) Clemens Lercher
Quellen:
[1] ÖNORM EN 1997-2
[2] ÖNORM B 1997-2
[3] Definition Baugrundrisiko laut DIN EN 1997-2 (Wikipedia)
URL:https://de.wikipedia.org/wiki/Baugrundrisiko
[4] Artikel: „Baugrundrisiko - Prüf- und Warnpflicht des Werkunternehmers“ vom 29.09.2013; ABK
URL:https://www.abk.at/fileadmin/user_upload/Dateien_abk.at/PDF/13_08_Baugrundrisiko_Warn-_und_Pruefpflicht_Werkunternehmer.pdf
[5] OGH Urteil „5 Ob 16/13h“
URL:https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20130321_OGH0002_0050OB00016_13H0000_000/JJT_20130321_OGH0002_0050OB00016_13H0000_000.pdf