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Spritzbeton-Nagelwand, ein Allheilmittel?

1. Die „beliebteste“ Art der Baugrubensicherung in Tirol

Aufgrund der alpinen Geländeverhältnisse sind Geotechnik und Spezialtiefbau in Tirol oft mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich das System der Spritzbeton-Nagelwand im alpinen Raum in den letzten Jahrzehnten stark etabliert hat. Steile Hänge, beschränkte Platzverhältnisse für die Baustelleneinrichtung sowie Bauplätze, die für schweres Gerät kaum zugänglich sind, lassen oft keine Alternative zu einer Baugrubensicherung mittels Spritzbeton-Nagelwand zu.

Daher ist es nur allzu verständlich, dass die meisten Baufachleute und Auftraggeber beim Stichwort „Baugrubensicherung“ automatisch an dieses System denken.

 

2. Die Stärken des Verbausystems „Spritzbeton-Nagelwand“

Neben den bereits angesprochenen Stärken im Hinblick auf ihre Herstellung in steilem Gelände weist diese Sicherungsmethode noch weitere Vorteile auf. So eignet sich das System der Spritzbeton-Nagelwand etwa gut für den Einsatz der Beobachtungsmethode.

Durch den sukzessiven und eher langsamen Aushub lassen sich Verformungen fortlaufend dokumentieren und interpretieren. Außerdem können dabei Bodenkenngrößen wie der Ausziehwiderstand durch Zugversuche verifiziert werden. Dies ermöglicht es dem planenden und baubegleitenden Geotechniker, rasch auf die örtlichen Gegebenheiten zu reagieren. Nägel können gegebenenfalls verlängert, der Nagelraster verdichtet oder die Spritzbetonstärke erhöht werden. Diese Möglichkeit hat gerade bei den teilweise heterogenen Untergrundverhältnissen im alpinen Gelände einen besonderen Charme, da diese aufgrund von topographischen Gegebenheiten oft nicht im erforderlichen Ausmaß erkundet werden (können).

Ein weiterer Pluspunkt dieser Sicherungsmethode, der gerade für die Bauherrenseite attraktiv ist, sind die im Vergleich zu anderen Verbausystemen relativ geringen Herstellungskosten. Bei geeigneten Untergrundverhältnissen und Randbedingungen stellt die Spritzbeton-Nagelwand derzeit das kostenschonendste Verfahren zur Baugrubensicherung dar.

 

 

3. Die Schwächen und Grenzen des Verbausystems „Spritzbeton-Nagelwand“

Wie alle Sicherungssysteme stößt aber auch die Spritzbeton-Nagelwand immer wieder an ihre Einsatzgrenzen. Ein limitierenden Faktor sind häufig die Untergrundverhältnisse. Fein- bzw. gemischtkörnige Böden generieren meist nur geringe Ausziehwiderstände der Erdnägel bzw. erfordern eine hohe Verformung zur Mobilisierung der Nagelkräfte, was sich negativ auf die Gebrauchstauglichkeit des Systems auswirkt. Starke Sickerwasserzutritte oder ein geschlossener Grundwasserspiegel machen den Einsatz einer Spritzbeton-Nagelwand oft unmöglich.

Aufgrund seiner „schlaffen Verankerung“ und der geringen Steifigkeit der Verbauvorderkante ist das System der Spritzbeton-Nagelwand zudem als „weiches System“ einzustufen. Neben den damit einhergehenden Verformungen kommt es noch zu jenen, die zur Mobilisierung der Nagelkräfte erforderlich sind. Je nach Sicherungshöhe und Untergrundverhältnissen können systemimmanente Verformungen im Zentimeterbereich auftreten.

Bei einer Baugrube in einer unbebauten alpinen Region und dem dadurch fehlenden „Schadenspotenzial“ stellt das nicht unbedingt ein Problem dar. Infolge ihrer Beliebtheit in Tirol kommt die Nagelwand allerdings auch oft in bebauten Gebieten zum Einsatz, wo derartige Verformungen ein Ausschlusskriterium für den Verbau darstellen können.

In solchen Fällen ist es die Aufgabe des planenden Geotechnikers, den Bauherren entsprechend aufzuklären und das oftmals von Auftraggeberseite vorgeschlagene beziehungsweise vorgegebene System als ungeeignet einzustufen. Aufgrund der oftmals verschwimmenden Einsatzgrenzen und der vergleichsweise günstigen Herstellungskosten des Systems stößt man als Geotechniker beim Auftraggeber hier leider immer wieder auf taube Ohren.

Die beschriebenen flexiblen Einsatzmöglichkeiten der Spritzbeton-Nagelwand erweisen sich aber auch aus anderen Gründen sowohl als Fluch als auch als Segen. Richtig ausgeführt, kommen die Vorteile des Systems vollumfänglich zum Tragen. Diese Flexibilität verleitet auf Baustellen jedoch oft zu „Kreativität“ mit teils gravierenden Folgen. Flucht bzw. Neigung der Nagelwand werden  eigenmächtig angepasst, was schnell Auswirkungen auf die Randbedingungen des erdstatischen Rechenmodells haben kann. Die normgemäß vorgegebenen und für die Verifizierung der angesetzten Kennwerte erforderlichen Ausziehversuche werden häufig viel zu spät oder in unzureichender Qualität ausgeführt und lassen dadurch keine ausreichenden Rückschlüsse auf die tatsächliche Mantelreibung zu.

Außerdem wird das für die Spritzbeton-Nagelwand charakteristische Pilgerschrittverfahren oft nur mangelhaft umgesetzt. Dieses ist jedoch ein zentrales Element für die Gewährleistung der Tragfähigkeit im Bauzustand sowie der Gebrauchstauglichkeit des Gesamtsystems. Umfangreiche Monitoring-Programme haben gezeigt, dass zu große Aushubabschnitte wesentlich größere Systemverformungen zur Folge haben und die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit beeinflussen. Trotzdem ist es aufgrund unrealistischer zeitlicher Vorgaben leider immer wieder der Fall, dass die projektgemäß vorgegebenen Abschnittsbreiten nicht eingehalten werden.

 

 

4.    Konkurrenzfähige Verbauarten – Trendwende erkennbar?

Lässt man den wirtschaftlichen Faktor beiseite, so stellt die Spritzbeton-Nagelwand für Einsatzgebiete mit schwierigen Geländeverhältnissen unbestritten die erste Wahl dar. Spielt jedoch die Gebrauchstauglichkeit eine Rolle und müssen die Verformungen gering gehalten werden (z. B.: in bebauten Gebieten), sind die meisten anderen Verbausysteme der Nagelwand vorzuziehen.

Trotzdem wird von Bauherrenseite aus Kostengründen die Nagelwand oft auch bei ungeeigneten Randbedingungen gewünscht. Verbauarten, die in Tirol weniger populär sind bzw. von Laien oftmals fälschlich mit sehr hohen Herstellungskosten in Verbindung gebracht werden, werden oft von vornherein abgelehnt. Es liegt am Geotechniker, die Randbedingungen richtig einzuschätzen und sich nicht eine „ungeeignete“ Sicherungsmethode vorgeben zu lassen.

In den letzten Jahren ist aus unserer Sicht eine Trendwende bei der Verbauwahl und der dazugehörigen Akzeptanz auf Auftraggeberseite erkennbar. Gerade wenn weitere Randbedingungen, wie z. B.: die nicht mögliche Inanspruchnahme von Fremdgrund durch Verankerungsmittel, dazukommen, haben sich die Systeme „Trägerbohlwand“ und „Bohrpfahlwand“ zunehmend etabliert.

Diesen Trend haben einige ausführende Spezialtiefbaufirmen erkannt und daran gearbeitet, diese Systeme wirtschaftlich interessant zu gestalten. Daher wird auch auf Auftraggeberseite immer öfter erkannt, dass die Sanierungskosten von möglichen Schäden, welche infolge der systemimmanenten Verformungen von Spritzbeton-Nagelwänden entstehen können, die immer geringer werdenden Mehrkosten von alternativen Verbauten nicht aufwiegen.

5. Zusammenfassung

Als Resümee aus den obenstehenden Ausführungen kann festgehalten werden, dass die Nagelwand im alpinen Raum Tirols durchaus ihre Berechtigung als populärstes Baugrubensicherungssystem hat. Ungeeignete Untergrundverhältnisse oder schwierige Randbedingungen lassen das System jedoch an seine Grenzen stoßen. Die oftmals „kreative“ Umsetzung der geplanten Sicherung auf der Baustelle erschwert die Einsatzmöglichkeiten ebenfalls. Es fällt auf, dass bei anderen Baugrubenverbauten (z. B.: Bohrpfahlwand) wesentlich mehr Wert auf Qualitätssicherung auf der Baustelle gelegt wird.

Zieht man die möglichen Komplikationen bei der Sicherung mittels Spritzbeton-Nagelwand sowie die inzwischen wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit anderer Baugrubenverbauten in die Betrachtung mit ein, ergibt sich die logische Konsequenz, dass die Nagelwand bei bestimmten Randbedingungen durchaus Vorteile und ihre Berechtigung hat, sie jedoch nicht das Allheilmittel in der Geotechnik darstellt, als das sie von vielen erachtet wird.